Smart City – Juli 2021 

Wie der Leerstand zum Hotspot wird    

Seit seiner Schließung Ende 2020 fehlt einem ehemaligen, innerstädtischen Kaufhaus in Ahaus die Perspektive. Kein Nachfolger fürs Kaufhaus, kein Nachfolger für die Immobilie – kein Problem! Bis eine Lösung gefunden ist, hat man den Leerstand zu einem echten Menschen-Magneten für die Innenstadt umfunktioniert. 

 

 

Stadtentwicklung – Juli 2021 

Wie der Leerstand zum Hotspot wird

Das Innenstadt-Sterben bedroht so ziemlich jedes kulturelle Zentrum einer Stadt. Ein neues Konzept aus Ahaus löst nun zwei Probleme auf einmal: Mit einem zum Innenstadt-Magnet umfunktionierten Leerstand.

Klein- und Mittelstädte leiden bereits seit vielen Jahren unter dem gleichen, unaufhaltsam-scheinenden Problem: Leerstand! Wo mal Leben war, sind nun verrammelte Fenster und ausgeschaltete Lichter. 

Im münsterländischen Ahaus ist das nicht anders. Erst kürzlich hat das traditionelle Modehaus Haverkamp seinen Betrieb nach satten 83 Jahren eingestellt. Einen Nachfolger ließ sich weder für das Modehaus, noch für die Immobilie selbst finden. Deshalb ist weiterhin unklar, ob irgendwann mal die Abrissbirne durch das dreistöckige Gebäude fliegt oder sich doch noch etwas dafür ergibt. Doch bis das mal klar ist, dient das Kaufhaus einem höheren Zweck: Der Belebung einer ganzen Innenstadt! 

Die begehbare Online-Plattform

Statt zum perspektivlosen Leerstand zu verkommen, hat man den leeren Räumlichkeiten kurzerhand eine neue Verwendung gegeben: 1.200 Quadratmeter Kaufhaus-Fläche haben nun einen ganz neue Verwendung bekommen: Als aufHaus

Obwohl der Name Parallelen zur ursprünglichen Bestimmung ziehen lassen könnte und sich hier nun weiterhin viele, unterschiedliche Produkte finden lassen, gibt es viele entscheidende Unterschiede. Zuallererst geht es im aufHaus nicht um irgendwelche kaufmännischen Kennzahlen: Umsatz, Absatz und Gewinn spielen im aufHaus keine Rolle. Das Konzept ist vielmehr ein Museum mit kostenlosem Eintritt in dem in erster Linie über 90 Unternehmen – die allermeisten aus Ahaus – ihre Produkte ausstellen. Einer von ihnen ist Spielwarenhändler Peter Thiemann. Auf die Frage, warum er sich dazu entschieden hat, dort ebenfalls auszustellen, meint er nur: „Warum denn auch nicht? Ich kann ja nichts verlieren, ich kann ja nur gewinnen!“, sagt der Ahauser und scherzt: „Wenn es gut läuft, muss ich die Regale nie wieder auffüllen und wenn es schlecht läuft, habe ich etwas verkauft.“

Nach Jahrzehnten in der Ahauser Innenstadt hat Peter Thiemann endlich einen Zweitstandort –zusammen mit vielen anderen Händlern und Privatausstellern

aufHaus Außenansicht

Ohne der Eröffnung zum Ende Mai wäre die Zukunft des einstigen Modehaus noch länger ein 1.200 m² großes Fragezeichen geblieben...   

Im aufHaus steht das Verkaufen in der Prioritätenliste ganz weit unten. Vielmehr haben sich alle Aussteller dem gemeinsamen Ziel verschrieben, den Besuchern ein Erlebnis bieten zu können und vor allem seine Vorteile gegenüber dem Online-Handel auszuspielen. „Die Besucher können hier ungezwungen bummeln, Dinge anfassen und ausprobieren, Inspirationen sammeln oder einfach nur Spaß haben.“, erklärt aufHaus-Schöpferin Claire Krotofil. „Wenn hier der Kickertisch direkt bespielbar ist oder irgendwo ein Schlüssel steckt, dann ist das kein Versehen sondern vollste Absicht. Entscheidend ist, dass die Leute Spaß haben und gerne in die Stadt kommen.“

Um die Leute in die Stadt zu holen, unterscheiden sich vor allem auch die Öffnungszeiten maßgeblich von denen des typischen, innerstädtischen Einzelhandels: Täglich von 9 bis 23 Uhr kann man sich über 1.500 ausgestellte Produkte der vor allem lokalen Händler in Ruhe anschauen. „Der städtische Handel hat in der Regel immer dann geöffnet, wenn die allermeisten Erwerbstätigen selbst gerade arbeiten.“, sagt Krotofil. „Wir wollen immer genau dann da sein, wenn die Leute gerade Zeit haben.“

Schmuck und Uhren mit Calling Codes

„Nur das, was hier liegt“: Jedes von über 1.500 Produkten ist mit einem individuellen QR Code versehen, liefert weitere Produktinfos und ermöglicht auch zu kaufen – wenn man möchte 

Das aufHaus-Rezept zum selber kochen  

In den ersten 6 Wochen sind bereits über 6.000 Leute durch das Konzept-Museum geschlendert. Die Tobit.Labs, die das Experiment gestartet haben und die Stadt Ahaus verbuchen das Konzept schon vorzeitig als vollen Erfolg. Das ist schön und gut, wenn man in Ahaus wohnt – aber was haben andere Städte davon? Schließlich funktioniert das aufHaus nur so einfach und autark, weil hier wirkliches alles von vorne bis hinten digital durchgezogen wird. Denn damit der Laden nicht trotz der „großzügigen Rahmenbedingungen“ nach ein paar Wochen aussieht wie eine Bedürfnisanstalt am Alexanderplatz, ist die digitale ID feste Voraussetzung um Zugang zum aufHaus bekommen zu können: Der digitale CheckIn und -Out der Besucher und die Benutzerkontensteuerung sind dabei essentiell. Aber auch das Einstellen der Produkte für gewerbliche und private Anbieter, Mitarbeiterplanung, Kaufvorgang und auch die Steuerung von Zugang, Licht und allem, was es sonst noch für den reibungslosen Betrieb braucht, werden digital abgewickelt. 

Leerstand zu bekämpfen ist bestimmt immer sinnvoll – sich aber für eine unbestimmte Zeit ein so kompliziertes und aufwändiges System entwickeln zu lassen, ist nur schwer ins richtige Verhältnis zu setzen – egal, wie viel Leben das Konzept der Innenstadt liefern kann. Aus genau diesem Grund haben die Tobit.Labs das aufHaus direkt im Hinblick auf die – entschuldigt das Buzzword – „Skalierbarkeit“ aufgebaut. Das Zauberwort dabei heißt chayns! Das gesamte Konzept wurde komplett auf Basis der kostenlosen und offenen Digitalplattform gebaut und kann von jedem, der einen Leerstand zu beleben hat, ganz einfach mit ein paar Handgriffen nachgebastelt werden.

Check Out calling Code

Wie Ladendiebstahl, nur ohne Herzklopfen: Wenn man etwas im aufHaus kaufen will, reiht man sich in keine Schlange ein, sondern spaziert einfach mit seinen Errungenschaften raus

Bis die BETA-Phase im ehemaligen Haverkamp-Gebäude vielleicht mal von der Abrissbirne beendet wird, läuft die aufHaus-Erfolgsgeschichte in Ahaus unbeirrt weiter. Das bisherige Feedback zeigt klar, dass die Ahauser bereits eine große Freude an einem aufHaus gefunden haben. Egal also, wie lange man das Showcase an der Marktstraße 2 noch findet – bis man eine neue Verwendung für den Komplex gefunden hat, ist der Raum in guten Händen. Und wer weiß: Vielleicht sehnen sich die Ahauser ja sogar schon dem nächsten Leerstand entgegen. Schließlich wird dieser nicht weniger attraktiv, wenn der sogar schon vor einem gefundenen Pächter überlaufen ist...

Weitere Eindrücke 

Über das aufHaus

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